Am frühen Nachmittag des 22. Novembers machten wir es uns also im Nachtbus von Thakhek nach Hanoi gemütlich, wenn man das so nennen kann. Als wir einstiegen, mussten erst einmal Plätze von Gepäck und anderem Krempel befreit werden, damit wir uns überhaupt irgendwo niederlassen konnten. Wir gewannen dann zwei Plätze ganz hinten unten im Bus und sorgten dafür, dass wir bei der nächsten Vollbremsung (die in Vietnam nie lange auf sich warten lässt), nicht sämtliches Gepäck aus dem Stauraum hinter uns in den Nacken kriegen.
Dann ging es einmal quer von West nach Ost durch Laos und wir fuhren in ein Gebirge zur Grenze von Vietnam. Hier gab es einen ersten Checkpoint, an dem wir vorbei mussten und dann folgte ein gruseliger Abschnitt. Die letzten Kilometer bis zur Grenze legten wir auf der falschen Straßenseite der Serpentinen zurück, weil sich vor uns LKW an LKW staute und Personenverkehr anscheinend passieren durfte. Trotzdem kam einige Male Gegenverkehr und ich machte einfach den Vorhang an meinem Fenster zu, weil ich die Manöver etwas beängstigend fand. Außerdem konnte ich mir kaum vorstellen, wie lange diese ganzen LKW Fahrer hier vor der Grenze wohl verharren mussten…
Dann hielt der Bus auf einem großen Parkplatz an und wir sahen ein Grenzgebäude. Alle Vietnamesen und Laoten stiegen aus. Außer uns waren noch drei französische Touristen im Bus. Der eine machte keine Anstalten auszusteigen und hatte seine Kopfhörer drin. Ich machte ihn darauf aufmerksam, ob er nicht auch aussteigen wollte oder ob er vielleicht mehr wüsste, was jetzt passiert – vielleicht hatte er das Ganze ja schon mal mitgemacht. Er schaute mich unendlich genervt an und gab mir zu verstehen, er würde kein Englisch sprechen. Kein Problem für mich, ich wiederholte mein Anliegen auf Französisch, er schaute mich noch dümmer an, antwortete trotzdem nicht und ich verstand, dass er einfach keine Lust hatte, mit mir zu reden. Das war glaube ich die „unhöflichste“ Begegnung mit einem anderen Reisenden, die ich je hatte. Normalerweise ist es gerade in ungewohnten Situationen wie an Grenzen oder verwirrenden Transporten so, dass man sich automatisch austauscht, unterstützt, da ja alle im wahrsten Sinne des Wortes im gleichen Boot, oder eben Bus, sitzen. Aber dann eben nicht.
JP und ich stiegen aus und verstanden, dass es sich hierbei zunächst nur um die Ausreise aus Laos handelte. Wir hatten uns schon darauf eingestellt, wieder irgendwelche Schmiergelder abzudrücken, allerdings bekamen wir problemlos und ohne zu zahlen unseren Ausreisestempel. Dann passierten wir zu Fuß die Grenze und befanden uns mal wieder im Niemandsland. In Sichtweite war ein Toilettenhäuschen – sehr gut. Wir hatten immer eine Rolle Klopapier am Start, die ich mir nun schnappte. Ich betrat die Damentoilette und wurde sofort vom schlimmsten Gestank überrollt. Einige Kabinen hatten gar keine Türen mehr, überall lag Müll und Schlimmeres, tote Tiere, Waschbecken von den Wänden gerissen. Ich machte auf dem Absatz kehrt. Ich hatte schon vieles gesehen, was sogenannte Toiletten in Asien angeht, aber das hier war die traurige Krönung. Glücklicherweise konnte ich mich einfach hinter das Haus hocken, da kaum jemand zugegen war, weit und breit nur Ruinen und eben Niemandsland.
Der Busfahrer kontrollierte unsere Pässe auf den Ausreisestempel, als wir wieder einstiegen und dann ging es zur vietnamesischen Grenze. Anweisungen oder Informationen erhielten wir wieder keine. Also einfach den anderen Passagieren hinterher. In Vietnam erhält man als deutscher Staatsbürger glücklicherweise einen visumfreien Aufenthalt von 45 Tagen, was die Sache eigentlich unkompliziert machen sollte. Wir stellten uns an und wurden vom Grenzbeamten vorgewunken, vorbei an der Schlange der offensichtlich nicht westlichen Touristen, keine Ahnung warum. Er nahm unsere Pässe und fragte – You have E-Visa? Ich so – ähm… no? German? No need for Visa. Er – ah, hmmm… Dann schaute er etwas in seinem Computer nach. Dann beobachtete ich, wie er mithilfe seiner Finger anfing zu rechnen, um mir das korrekte Datum in den Pass zu kritzeln, an dem ich das Land wieder verlassen müsste. Er würfelte den dritten Januar aus, was mit den 45 Tagen vorne und hinten nicht stimmen konnte, aber die Diskussion wäre zu schwierig geworden. Wir wollten das Land ja ohnehin schon Mitte Dezember wieder verlassen.
Wir tauschten unsere letzten laotischen Kip in vietnamesische Dong um, bei einem Typen im Grenzgebäude, der Zigaretten, Snacks, Sim-Karten uvm. verkaufte. Dann gingen wir zurück zum Bus, happy mit unserer erfolgreichen Einreise. Allerdings wurde uns der Zutritt verwehrt und wir wurden zurück zum Grenzgebäude geschickt. Na gut, also erst einmal warten, mittlerweile war es dunkel geworden. Nach ca. einer halben Stunde fuhr der Bus dann vor in den Kontrollbereich der Grenze. Wir mussten unser gesamtes Gepäck aus dem Bus holen und durch eine Art Sicherheitskontrolle wie im Flughafen. Der Bus selbst wurde von Grenzbeamten samt Hunden durchsucht. Dann fiel uns ein, dass wir einen Beutel im Bus hatten liegen lassen und befürchteten, dass der entsorgt werden könnte. Daher lief JP zurück zum Bus – obwohl er ja eigentlich schon den Grenzübergang gemacht hatte – und versuchte den schwer bewaffneten Grenzbeamten mit Schäferhund zu verstehen zu geben, dass er was vergessen hatte. Zugegeben, wir hatten schon bessere Ideen. Aber es ging gut und er wurde in den Bus gelassen – Snacks gerettet.
Mittlerweile war es ca. 20 Uhr, als wir zurück in den Bus stiegen und wir hatten einige neue Passagiere dazu gewonnen. Da jeder Platz schon belegt war, ließen diese sich einfach in den Gängen nieder. Eine Dame direkt neben mir, die mir die nächsten Stunden ziemlich auf den Geist ging. Ständig hatte ich nun ihre Knie oder Ellenbogen bei mir in der Seite, sie deckte mit ihrer Decke mich auch noch zu, hatte ihr Handy auf voller Lautstärke ca. 10 cm neben meinem Kopf und hielt den Typen im Mittelsitz auf Trab, der offensichtlich auch gar keinen Bock auf Konversation hatte. Dann hielten wir für ein Abendessen an und ich freute mich auf das erste vietnamesische Essen. Das war aber leider von der wildesten Sorte. Es gab wabbeliges Huhn, Schnecken, Krebse, merkwürdig aussehende Eier etc. Ich konnte diese kulinarische Experience aufgrund der Müdigkeit überhaupt nicht nutzen und schob mir nur etwas trockenen Reis rein. Als wir wieder einstiegen, nutzte meine neue Sitznachbarin die nächste halbe Stunde für eine gründliche Zahnzwischenraumreinigung mit Zahnstochern, dass es nur so spritzte und mir wurde übel.
Auch dank der Tablette gegen Reiseübelkeit fand ich tatsächlich in den Schlaf, dem JP fiel das etwas schwerer, da er nicht wirklich in die Sitze passte. Gegen 6 Uhr morgens erreichten wir dann einen Busbahnhof etwas abseits vom Zentrum Hanois. Wir waren direkt von unzähligen Taxifahrern umringt, die uns überteuerte Fahrten andrehen wollten. Zum Glück hatten wir Datenvolumen und konnten einen vernünftigen Preis bei Grab recherchieren. Einer der Fahrer stimmte dem zu und setzte uns in seinen Wagen. Dann fuhren wir noch ein Stück quer über den Busbahnhof, dann hielt er aber wieder an und versuchte, wohl noch weitere Passagiere zu gewinnen. Wo die noch hätten sitzen sollen, keine Ahnung, es handelte sich um einen Kleinwagen mit winzigem Kofferraum. Vielleicht wollte er uns auch wieder rauswerfen, falls er einen besseren Preis bekäme. Jedenfalls hatten wir keine Lust auf den Zirkus und stiegen wieder aus, schnappten uns unsere Rucksäcke und suchten den Ausgang. Hier standen wir dann das erste Mal so richtig live im Verkehr und Smog von Hanoi. Wir buchten uns einen Fahrer über Grab und kurze Zeit später war der Wagen da. Auf unserer Fahrt beobachteten wir die wildesten Transporte auf Mopeds. Unser „Highlight“ – ein totes Schwein, halb ausgenommen, das von einem Typen in Schutzkleidung durch das Verkehrsgewirr transportiert wurde.
Angekommen an unserem Hotel, war die Lobby so früh morgens noch nicht besetzt, da es sich um einen kleinen, familiengeführten Betrieb handelte. Wir machten uns daher auf die Suche nach einem Kaffee. Fündig wurden wir in der berühmten Train Street, die direkt um die Ecke von unserer Unterkunft lag. Hier hatten bereits einige Läden an den Bahnschienen geöffnet und wir genossen die Ruhe, die am frühen Morgen an diesem touristischen Hotspot herrschte. Als wir zahlen wollten, meinte die Besitzerin – 10 more minutes. Ich dachte mir, gut, nicht gerade serviceorientiert, aber meinetwegen zahle ich auch erst in 10 Minuten, uns treibt ja nichts. Kurz darauf räumte sie unsere Rucksäcke auf Stühle und deutete nach links – train coming. Dann fiel bei uns endlich der Groschen – der Zug würde in wenigen Minuten die Straße durchqueren und sie wollte einfach nicht, dass wir das verpassen. Das war dann auch eine ziemlich coole Erfahrung, vor allem da wir später feststellten, dass die Straße mittlerweile eigentlich offiziell für Touristen gesperrt ist. Man darf nur rein, wenn man von einem der Besitzer der Cafés direkt mit hineingenommen wird. Wir waren an diesem Morgen aber einfach so früh dort, dass das Sicherheitspersonal seinen Dienst noch nicht angetreten hatte. Als wir die Straße dann verließen, war es nämlich schon vor Ort und brüllte sämtliche Touristen zusammen, die die Straße betreten wollten. Wir kamen zum Glück ungeschoren raus und wurden dann sehr herzlich in unserem Hotel begrüßt. Wir wollten eigentlich nur unsere Rucksäcke lagern, da es natürlich viel zu früh für einen Check-In war. Jedoch waren die Besitzer so süß, dass sie meinten, spätestens um 10 Uhr hätten sie ein Zimmer frei, „leider“ nur das riesige Familienzimmer, und bis dahin könnten wir ja schon mal Frühstück bekommen.
Wir entspannten uns also im gemütlichen Frühstücksraum, holten uns Sim-Karten im Viettel Store um die Ecke, checkten den Supermarkt aus und betrieben etwas People Watching. Dann konnten wir ins Zimmer und bereiteten uns auf ein ausgiebiges Nickerchen vor. Das Bett war wahnsinnig bequem, alles war sauber und groß und wir freuten uns wie kleine Kinder. Am frühen Nachmittag frisch erwacht, buchten wir uns eine Streetfood Tour für den Abend und machten uns dann auf den Weg, Hanoi vorher noch auf eigene Faust zu erkunden. Wir landeten am Hoan Kiem See und versuchten uns das erste Mal, zu Fuß in Hanoi eine Straße zu überqueren. Die Technik: Langsam loslaufen, nicht langsamer oder schneller werden, auf gar keinen Fall stehen bleiben. Die unzähligen Mopeds fahren dann einfach um einen herum. Klingt riskant, funktioniert aber tatsächlich wunderbar.
Schnell stellten wir fest, dass die Leidenschaft für weihnachtliche Dekoration in Hanoi ziemlich groß war. Bei 25 Grad Tannenbaumlieferungen beobachten, das fühlte sich schon etwas merkwürdig an. Wir gingen noch in ein Café mit einer schönen Aussicht auf das bunte Treiben in der Stadt, bevor dann die Food Tour los ging. Wir waren zu sechst plus Guide und probierten uns in den folgenden Stunden durch vietnamesisches Sushi, vietnamesische Pizza aus Reispapier, Wachteleier mit Speck und Zwiebeln, Bun Bo Nam Bo (Reisnudeln mit Salat, anderem Grünzeug, hauchdünnem Rind, Zwiebeln, Erdnüssen… einfach mega geil) und einige weitere Gerichte. Vieles davon hätten wir aufgrund der Sprachbarriere wahrscheinlich nie entdeckt oder gar probiert. Der Abend hatte sich auf jeden Fall gelohnt und wir liefen satt und glücklich zurück zum Hotel.
Den nächsten Tag ließen wir entspannt angehen und gönnten uns zum Mittag unser erstes Banh Mi – eine Art Sandwich aus einem Baguettebrot, das mit allem möglichen gefüllt werden kann. Dann ging es wieder auf eine Walking Tour für uns – dieses Mal drehte diese sich um Sehenswürdigkeiten Hanois und um die Geschichte Vietnams. Diese erinnert ganz dunkel an Deutschland, da das Land ebenfalls eine ganze Zeit lang zweigeteilt war, allerdings in Nord und Süd. Tatsächlich ist die politische Einstellung im Süden auch heutzutage noch eine andere als im Norden, die Leute sind sich wohl nicht immer ganz grün. Unser Guide war auf jeden Fall begeisterte Kommunistin, soweit wir das anhand ihrer Äußerungen über ihr Land und die Politik festmachen konnten. Wir besuchten mit der Gruppe die Pagode am Hoan Kiem See, in der zwei riesige mumifizierte Schildkröten ausgestellt sind, die bis vor ein paar Jahren wohl noch in dem See gelebt haben. Die sahen wirklich einigermaßen gruselig aus.
Die Tour endete in einem niedlichen Café, wo wir dem berühmten Egg Coffee nochmal eine Chance gaben, aber doch nicht so richtig warm wurden mit diesem Getränk. In Coconut Coffee könnte ich mich hingegen reinlegen und verstehe bis heute nicht, warum das Getränk nicht von anderen Ländern in Südostasien übernommen wurde.
Weil es uns am Tag zuvor so gut gefallen hatte, machten wir mit ihr dann auch noch die Food Tour am Abend, nachdem sie uns versichert hatte, dass sie andere Spots ansteuern würde, als unser Guide vom Tag zuvor. Auch diese Tour war wieder sehr lecker. Wir probierten verschiedene Salate, Bun Cha und wilde Süßspeisen am Ende.
Außerdem besuchte ich in Hanoi noch einen Friseursalon. Ich hatte gehört, dass man sich dort auf gar keinen Fall die legendären Kopfmassagen entgehen lassen soll und nach einem knappen halben Jahr auf Reisen konnte meine Mähne auch mal wieder einen Schnitt vertragen. Kaum den Salon betreten, wurde ich auf einen Stuhl verfrachtet und die (mutmaßliche) Chefin wuschelte mir durch die Haare und schaute dabei ein wenig abschätzig. Ja, ich wusste selbst, dass die schon mal besser aussahen. Dann wurde ein Foto von mir gemacht und ich wurde in den hinteren Teil des Salons auf eine Art Liege am Waschbecken verfrachtet. Dort begann dann die Prozedur des Waschens und Massierens. Etwas angenehmer hatte ich es mir vorgestellt, da die Dame recht häufig ihre Fingernägel einsetzte, um mir über die Kopfhaut zu schrubben. Noch ein unerwarteter Moment war der, als sie mir ihre Finger mit Schaum beherzt in die Ohren steckte, um auch hier mal ordentlich sauber zu machen. Das Ganze dauerte bestimmt eine halbe Stunde, mehrere Waschdurchläufe, Conditioner usw. Dann ging es wieder nach vorn auf den Stuhl, es wurden Wattestäbchen etwas zu weit in meinen Ohren versenkt und dann machte sich die Chefin daran, meine Haare zu schneiden. Sehr penibel, mit einer genauen Vorstellung und drei verschiedenen Scheren. Dann sollte ein (mutmaßlicher?) Azubi meine Haare föhnen. Das konnte sich die Chefin aber keine fünf Minuten anschauen und riss ihm die Gerätschaften aus den Händen. Sie übernahm es selbst und hielt dem Armen auf vietnamesisch einen Vortrag (Über die Technik? Was er so alles falsch gemacht hatte? Das Wetter? .. keine Ahnung). Am Ende wurde noch so lange alles zurecht gezupft, bis es der Chefin für ein Foto passte. Da wurde mir bewusst, was für krasse Beauty-Filter auf diesen iPhone Kameras liegen (ist das auch in DE so?). Sämtliche Hautunreinheiten passé auf diesen Bildern. Aber mit dem Ergebnis des Haarschnitts war ich sehr zufrieden.
Wir verbrachten in diesen Tagen in Hanoi viel Zeit in den süßen Cafés. Unser Favorit lag direkt in der Straße unseres Hotels. Es gab sehr guten V60 und eine Offenbarung von Coconut Coffee. Das Café selber war in einem typischen Altbau von Hanoi. Ein sehr schmales Gebäude, das sich über drei Stockwerke erstreckte, jedes unterschiedlich eingerichtet, sehr gemütlich. Wir besuchten auch ein Cong Café – dies schien eine Kette in Vietnam zu sein. Die Mitarbeiter trugen militärische Kleidung, die Einrichtung war in ähnlichem Stil. Dann bekam ich über Instagram noch die Empfehlung für das Note Café. Dies umfasste ebenfalls mehrere Stockwerke und war von oben bis unten mit Post-Its versehen, die die Gäste selbst beschriften und anbringen können.
Nach vier Nächten in Hanoi hieß es dann vorerst Abschied nehmen. Wir hatten die Stadt wirklich lieb gewonnen. Diese wilde, wuselige Altstadt, das Essen, die Cafés, die Menschen – wider Erwarten gefiel es uns sehr gut. Normalerweise sind wir keine riesigen Fans von asiatischen Großstädten, insbesondere ich nicht. Auch hatten wir über Hanoi von anderen Reisenden bislang eher negative Berichte gehört. Für uns stand aber fest – wir würden definitiv nochmal für ein paar Tage zurückkehren. Wie es für uns in Vietnam weiterging, folgt im nächsten Artikel.